Wohnen ist Menschenrecht

Housing-First-Ansätze in der Wohnungsnotfallhilfe

Mit der Themensetzung „Housing First“ in der ersten Ausgabe der Zeitschrift wohnungslos des Jahres 2023 gibt die BAG Wohnungslosenhilfe dem aktuellen fachlichen Diskurs um die Weiterentwicklung der Wohnungsnotfallhilfen breiten Raum. Die Dynamik der Diskussion um „Housing First“ und die notwendige Unterscheidung der Debattenmerkmale rechtfertigt die Umsetzung als Doppelausgabe. In den sechs thematischen Beiträgen und Stellungnahmen – erweitert um die „Empfehlungen des Deutschen Vereins zum Housing-First-Ansatz in den Wohnungsnotfallhilfen“, die wir dankenswerter Weise in dieser Ausgabe dokumentieren können – werden aus unterschiedlichen theoretischen und praktischen Blickwinkeln die fachlichen, sozialpolitischen, rechtlichen und fachhistorischen Merkmale vorgestellt und diskutiert.

Das Heft eröffnet Werena Rosenke als Geschäftsführerin der BAG W. In ihrem Beitrag „Der Housing-First-Ansatz in der Wohnungsnotfallhilfe in Deutschland“ verweist sie u.a. auf die verschiedenen Debattenstränge und zeigt auf, dass die jeweiligen nationalstaatlichen Entwicklungen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen bei der Umsetzung von „Housing First“ dringend zu beachten sind. Sie plädiert für ein Zusammenstehen aller in den Wohnungsnotfallhilfen Aktiven im Kampf für Wohnungen für wohnungslose Menschen und gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung der Menschen. Anschließend diskutiert Prof. Falk Roscher „Die Bedeutung der §§ 67 ff. SGB XII für den Hilfeansatz ‚Housing First‘“, wobei er eindrücklich die Möglichkeiten im Rahmen des gültigen Rechtsanspruchs aufzeigt, aber auch die bestehenden Risiken hin zu einer Eingliederungshilfe für wohnungslose Menschen in „schweren“ Fällen kritisch beleuchtet. Für Ambulante Hilfe e. V. Stuttgart erläutert Katharina Rudel die Gründe, ein Housing-First-Projekt umzusetzen und diskutiert mit „Housing First – das machen wir doch schon immer…“ den Mehrwert des zusätzlichen und die bestehenden Hilfen ergänzenden Angebots. Ein Blick über den nationalen Tellerrand nach Österreich zeigt die dortige Praxis vor dem Hintergrund der nationalen Gegebenheiten auf dem österreichischen Wohnungsmarkt. Auch Emine Özkan und Christian Zahrhuber weisen in ihrem Beitrag „Wohnungslosigkeit strukturell beenden: Kontextualisierung von Housing First in Österreich anhand des Projekts ‚zuhause ankommen‘“ sehr deutlich darauf hin, dass die Grundbedingung für die Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit die Verfügbarkeit von Wohnraum ist. Gemeinsam mit den anderen Autorinnen und Autoren betonen sie das sozialpolitische Potential, das in der Debatte um „Housing First“ lagert. Darauf verweist u.a. auch die sich anschließende „Positionierung Housing First der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V.“, die von Lars Lauer und Jessica Magnus einleitend vorgestellt wird. Den Themenschwerpunkt beschließt Dr. Thomas Specht mit seinem umfassenden Beitrag „Arbeit in der Achterbahn: Von der Therapeutisierung der Nichtsesshaften zur vorrangigen Wohnungsversorgung von Wohnungsnotfällen – Der säkulare Paradigmenwechsel 1975-1980 zum ‚Housing First‘ in Deutschland“. Damit wird gleichfalls die Diskussion gerahmt und in die längeren Entwicklungslinien der Wohnungsnotfallhilfen in der Bundesrepublik Deutschland eingeordnet.

Im Rahmen der Rechtsprechung erläutert Dr. Manfred Hammel den Anspruch auf eine Mietschuldenübernahme im SGB II (§ 22 Abs. 8), wenn diese Verbindlichkeiten durch die Aufnahme eines Privatdarlehens gedeckt werden.

Mit den Themenbeiträgen ist die Fachdiskussion um „Housing First“ genauso wenig abgeschlossen, wie die adäquate sozialpolitische Auseinandersetzung bisher ausreichend in Gang gekommen wäre. Diesem Ziel wird sich die kommende Bundestagung der BAG Wohnungslosenhilfe unter dem Generalthema „Trotz Krisenzeiten am Ziel festhalten: Überwindung der Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 – Herausforderungen und Chancen“ vom 08. bis 10. November 2023 in Berlin stellen. Die vollkommen unzureichende und sich verschlechternde Wohnraumversorgung für Menschen, die gesellschaftlich und sozial marginalisiert sind, zeigt die gesellschaftlichen Ausschlüsse, die sich durch Inflation und steigende Energiekosten noch verschärfen. Es ist ein positives Zeichen, dass sich ausgerechnet in der aktuellen Krise die Bundesregierung erstmalig das Ziel setzt, die Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden. Für die Dienste und Einrichtungen im Wohnungsnotfall, die als letztes Netz lebensnotwendige Hilfen zur Verfügung stellen, liegen deshalb in der Aussicht auf die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans große Hoffnungen. Mit der Bundestagung gilt es diesen Prozess fachlich zu begleiten und sozialpolitisch zu rahmen. Das Programm hierzu wird aktuell erstellt. Bitte merken Sie sich den Termin vor. Wir empfehlen die frühzeitige Hotelreservierung.

Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die mit ihren Wortmeldungen zur Weiterentwicklung der Wohnungsnotfallhilfen beitragen. Mit dem Heft hoffen wir wichtige Hinweise zu geben und zur weiteren Diskussion anzuregen. Eine spannende Lektüre wünscht

Joachim Krauß

Schriftleitung wohnungslos

 

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