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Zweiter Corona-Winter – große Herausforderung für wohnungslose Menschen und das Hilfesystem

Der zweite Winter in der Corona-Pandemie stellt die Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit erneut vor enorme Herausforderungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat unter ihren Mitgliedern, den Einrichtungen und Diensten der Wohnungslosenhilfe, eine Umfrage durchgeführt, aus der sich nachfolgendes Bild ergibt.

Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe bemühen sich unter größten personellen und finanziellen Anstrengungen, die Hilfeangebote für wohnungslose Menschen weitgehend aufrechtzuerhalten. Jedoch müssen knapp 20 Prozent der an der Umfrage beteiligten Hilfeangebote ihr Angebot einschränken. Davon betroffen sind besonders die niedrigschwelligen Tagesaufenthalte (knapp 50 Prozent), aber auch Angebote der Kältenothilfe fahren nicht mit voller Last: 15 Prozent der Einrichtungen melden ein eingeschränktes Angebot. Ursache hierfür sind vorrangig die Gesundheitsschutz- und Hygieneauflagen, denn bei gleichen personellen und räumlichen Kapazitäten können sie nicht so viele Menschen einlassen wie in der Vor-Corona-Zeit. Nur wenige Einrichtungen konnten für diesen Winter zusätzliche Räumlichkeiten anmieten, um die Belegungsdichte zu entzerren.

Kritisch wird auch die ordnungsrechtliche Unterbringung durch die Kommunen gesehen. Nur 18 Prozent der Einrichtungen sind der Meinung, dass ihre Kommune für die vierte Welle der Pandemie und angesichts des Winters ausreichend mit pandemiesicheren Unterkünften vorgesorgt hat. Mehr als ein Drittel der Einrichtungen sehen ihre Kommunen nicht angemessen vorbereitet. Obwohl in einigen Kommunen sehr positive Entwicklungen bei der Einrichtung von 24/7 - Unterkünften und der Unterbringung in Einzelzimmern zu verzeichnen sind, kann die BAG W nicht erkennen, dass Kommunen wirklich flächendeckend Übernachtungsangebote in der Kältehilfe bzw. bei der ordnungsrechtlichen Unterbringung ausgeweitet haben. Vielerorts ist zudem die Bereitstellung und Erreichbarkeit von Quarantäneangeboten nicht geklärt.

Susanne Hahmann, Vorsitzende der BAG W: „Für alle Beteiligten in den Einrichtungen stellt die Situation eine extreme Belastung dar. Was jetzt angesichts der Kälte dringend umgesetzt werden muss, ist eine niedrigschwellige Versorgung der Hilfesuchenden. Das bedeutet: sichere Unterkünfte mit zusätzlichen Einzelunterkünften, Tagesaufenthalte, die in die Lage versetzt werden, ihr Angebot auszuweiten, und außerdem Konzepte für den Umgang mit Quarantänefällen.“

Viele Wohnungslose sind geimpft, jetzt stehen Booster-Impfungen an

Nicht zuletzt aufgrund der täglichen Vertrauens- und Motivationsarbeit durch die Mitarbeitenden vor Ort ist es gelungen, einen großen Teil der Hilfesuchenden - trotz teilweise vorhandener Angst vor der Impfung - für den Piks gewinnen zu können. Am wirkungsvollsten erwies sich die Arbeit mobiler Impfteams, die die Menschen in Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen aufsuchen und die Impfungen niedrigschwellig, ohne Terminvergabe und Wartezeiten (und ohne Vorlage von Ausweisdokumenten) vornehmen. Dieses Angebot ist auch aktuell das zielführendste, um Betroffene mit der Booster-Impfung zu versorgen.

Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Ein gravierendes Problem für die Menschen ohne Wohnung bleiben aber die oft fehlenden Impfnachweise. Deshalb müssen dringend Konzepte erarbeitet werden, die absichern, dass zum Beispiel mit Unterstützung der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, der Impfzentren und der Gesundheitsbehörden vorhandene Impfungen unkompliziert nachgewiesen und fehlende Dokumente wiederbeschafft werden können. Ansonsten werden die Menschen bei Kontrolle der G-Regelungen noch weiter aus dem öffentlichen Raum ausgegrenzt. Im schlimmsten Falle drohen ihnen beim Aufenthalt im öffentlichen Nahverkehr, in U-Bahn-Stationen und Bahnhöfen sogar Bußgelder, die langfristig zu Haftstrafen führen können.“

Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe mit ihren Mitarbeitenden arbeiten auch in diesem zweiten Corona-Winter hart an ihrer Belastungsgrenze. Zwischen umfangreichen Infektionsschutzmaßnahmen und dem Bemühen, eine möglichst niedrigschwellige Versorgung der Hilfesuchenden zu gewährleisten, setzen sich die Mitarbeitenden selbst hohen Infektionsrisiken aus. Die Dienste und Einrichtungen brauchen Entlastung, indem sie mit FFP2-Masken, Belüftungsgeräten, Testkits, unbürokratischen Zugängen zu PCR-Tests unterstützt werden. Hinzu kommt, dass die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen mit ihrer Arbeit ausgleichen, was Behörden nicht mehr leisten, weil diese für die wohnungslosen Menschen nicht direkt, sondern nur noch digital ansprechbar sind.

„Daraus entstehen neue Aufgaben. Der Bedarf an Beratungsleistungen steigt, die Wohnungsnotfallhilfe reagiert darauf teils mit Online-, Video- oder Telefonberatungen. Eine verbesserte digitale Infrastruktur und technisches Equipment werden für die Einrichtungen somit immer wichtiger. Auch die Hilfesuchenden selbst sind zunehmend auf digitale Geräte und Zugänge angewiesen“, so Werena Rosenke. „Zur traurigen Wahrheit dieses zweiten Corona-Winters gehört aber auch, dass die zusätzlichen Kosten der Digitalisierung, der Testungen, der Schutz- und Hygienemaßnahmen sowie die fehlenden Einnahmen durch nicht belegbare Wohnplätze etc. durch Spendenmittel oder gänzlich selbst finanziert werden. Bund, Länder, Kommunen und die Kosten- und Leistungsträger beteiligen sich nur zu einem Drittel.“

Jetzt handeln!

Die BAG W fordert folgende Sofortmaßnahmen:

  • Einen am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Bestand menschenwürdiger und pandemiegerechter, möglichst dezentraler Unterbringungsmöglichkeiten; dazu müssen zusätzliche Räumlichkeiten von den Kommunen akquiriert und angemietet werden, beispielsweise Pensions- und Hotelzimmer und Ferienwohnungen
  • 24/7-Unterkünfte, in denen man sich auch tagsüber aufhalten kann
  • Kommunen müssen zusätzliche pandemiegerechte Aufenthaltsmöglichkeiten für wohnungslose Menschen bereitstellen, damit diese nicht durch Anwendung der G-Regelungen weiter aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden           
  • Sicherstellung und Finanzierung niedrigschwelliger Testungen in Einrichtungen der Wohnungsnotallhilfen, aber auch im öffentlichen Raum durch mobile Testteams, so dass die Hilfesuchenden ihre Testungen auch nachweisen können
  • Niedrigschwellige Impfungen und Booster-Impfungen für Wohnungslose in den Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen durch mobile Impfteams
  • Für fehlende Impfnachweise und Dokumente müssen unbürokratische und schnell umsetzbare Regelungen gefunden werden; dabei sollten Sozial- und Gesundheitsbehörden der Kommunen eng mit den Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen zusammenarbeiten
  • Die öffentliche Hand muss sich substantiell an den zusätzlichen pandemiebedingten Kosten beteiligen

Werena Rosenke: „Bei allen Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen bleibt doch eines gewiss: Der beste Schutz besteht aus den eigenen vier Wänden. Deswegen müssen Zwangsräumungen unbedingt und verbindlich ausgesetzt werden. Menschen dürfen in dieser Situation nicht aus ihren Wohnungen geräumt und in Notunterkünfte eingewiesen werden, die schon jetzt überlastet sind. Anstrengungen und Maßnahmen zur Versorgung wohnungsloser Menschen mit einer eigenen Wohnung gehören überall auf die Tagesordnung!“

PM Zweiter Corona-Winter – große Herausforderung für wohnungslose Menschen und das Hilfesystem