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Psychisch kranke Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation

Die psychische Erkrankung von wohnungslosen Menschen oder von Menschen, deren Wohnung durch die Erkrankung oder durch Krankheitsfolgen gefährdet ist, ist seit jeher ein wichtiges Thema für die Hilfen im Wohnungsnotfall. Deswegen hat sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) bereits auf zahlreichen Fachtagen und in diversen Ausgaben der Zeitschrift wohnungslos damit befasst.

In ihrem Positionspapier aus dem Jahre 2008 musste die BAG W daher feststellen: „Insbesondere psychisch kranke Menschen mit geringer Krankheitseinsicht leben in beträchtlichem Umfang in Notunterkünften, Nischen oder gänzlich auf der Straße. Häufig sind sie unversorgt und haben keinen Kontakt mehr zum Hilfesystem für psychisch kranke Menschen. So treffen die MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe im Allgemeinen auf Männer und Frauen:

  • mit langjähriger Psychiatrieerfahrung, die in der Wohnungslosenhilfe gestrandet und entweder noch in laufender psychiatrischer Behandlung sind oder eine solche abgebrochen haben
  • die psychisch auffällig sind und die bisher weder diagnostiziert noch behandelt wurden; [ … ]
  • mit mehreren psychiatrischen Diagnosen
  • mit der Doppeldiagnose Suchterkrankung/psychische Erkrankung ohne Krankheitseinsicht“ (BAG W 2008: Psychische Erkrankungen bei wohnungslosen Frauen und Männern. Darstellung der Problemlagen und Handlungsbedarfe).

Im August d. J. ist die SEEWOLf-Studie (Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der Wohnungslosen-Hilfe im Großraum München) vollständig publiziert worden. Dies haben wir zum Anlass genommen, das Thema der psychischen Erkrankungen und der entsprechenden Versorgungsbedarfe von wohnungslosen Menschen, aber auch von Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation in dieser Ausgabe der wohnungslos in mehreren Beiträgen zu thematisieren. Bereits vor der vollständigen Veröffentlichung der Studie hatte diese in der Presse, z. T. auch in der Fachpresse größeres Aufsehen erregt, aber auch zu Verallgemeinerungen geführt: „In Deutschland haben etwa 300.000 Menschen keine eigene Wohnung, 25.000 von ihnen leben auf der Straße. Eine neue Untersuchung der TU München, die Seewolf-Studie, zeigt, dass zwei Drittel der Wohnungslosen psychisch krank sind“ (Stuttgarter Zeitung, 11.09.2014).

„Schätzungsweise 25.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße, insgesamt haben wohl um die 300.000 keine eigene Wohnung, berichtet die TU München. Eine aktuelle Untersuchung des Klinikums rechts der Isar zeigt: Betroffen sind vor allem Menschen, die aus verschiedenen Gründen schon vor dem Verlust ihrer Wohnung besonders labil waren. 55 Prozent der für die sogenannte Seewolf-Studie befragten Wohnungslosen leiden demnach an einer Persönlichkeitsstörung. Andere psychische Probleme, darunter Angststörungen, Depressionen und Süchte, kämen ebenfalls überdurchschnittlich oft vor“ (Spiegel online, 23.07.2014).

„Mehr als zwei Drittel aller wohnungslosen Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen, aber nur ein Drittel erhält eine entsprechende Versorgung. Dies geht aus einer Untersuchung der Technischen Universität München hervor, deren Autoren die „Enthospitalisierung“ seit den 70er Jahren für die Obdachlosigkeit mitverantwortlich machen“ (aerzteblatt.de,24. 7.2014).

Mit diesem Schwerpunktheft möchten wir zu einer differenzierten Diskussion einladen: Prof. Dr. Josef Bäuml et al. skizzieren die wichtigsten Ergebnisse der Studie und beschreiben die Stichprobe der Untersuchung. Dr. Gerd Reifferscheid, unter dessen Mitarbeit die Studie in München durchgeführt worden ist, nimmt eine erste Bewertung der Studie in ihrer Bedeutung für die Wohnungslosenhilfe vor. Seinen Beitrag will er als vorläufiges Diskussionspapier verstand wissen.

Wichtig für die Debatte zum Thema psychische Erkrankungen und Wohnungslosigkeit sind die kritischen Überlegungen, die Dr. Wilfried Kunstmann in seinem Beitrag zu den „methodischen Problemen der Erhebung psychiatrischer Krankheitsprävalenzen in Studien zur psychischen Gesundheit Wohnungsloser“ anstellt. Er benennt drei methodische Kernprobleme: die repräsentative Stichprobenziehung, die Ableitung von Kausalzusammenhängen auf der Grundlage einer Querschnittsstudie und die Validität psychiatrischer Diagnose-Instrumente für eine Untersuchung an Wohnungslosen.

Welche Bedeutung können unbehandelte psychische Störungen für einen drohenden Wohnungsverlust haben? Dieser Frage gehen Prof. Dr. Hans Joachim Salize at al. in ihrer Studie zur „Verbesserung der psychiatrischen Behandlungsprävalenz bei Risikopersonen vor dem Abrutschen in die Wohnungslosigkeit“ nach.

Britta Köppen beschreibt sehr praxisnah die positiven Effekte einer psychologischen Beratung wohnungsloser Frauen.

Sabine Bösing ist verantwortlich für das Projekt „Inklusion psychisch kranker Menschen im Bereich Wohnen“ des Paritätischen Gesamtverbandes. In ihrem Beitrag stellt sie erste wichtige Ergebnisse vor und beschreibt die große Bedeutung des Wohnens für psychisch kranke Menschen.

Ich hoffe sehr, dass wir mit dem Themenschwerpunkt und den anderen wichtigen Beiträgen dieser Ausgabe der wohnungslos die Fachdebatte der Hilfen im Wohnungsnotfall befördern können.

Werena Rosenke
Schriftleitung wohnungslos