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Digitalisierung und digitale Teilhabe in den Hilfen für Wohnungsnotfälle

Unsere Lebenswelten verschwimmen zunehmend zwischen analog und digital. Die Teilhabe am Wohnen, Arbeiten sowie Kultur und Bildung, aber auch der Zugang zu Behörden setzt zunehmenddigitale Ausstattung sowie Kompetenzen voraus. Gleichzeitig, so die Kurzexpertise Armut und digitale Teilhabe des Paritätischen Gesamtverbandes von 2023, ist das Risiko, digital abgehängt zu sein, für armutsbetroffene Menschen besonders groß. Ein Fünftel von ihnen verfügt demnach im eigenen Zuhause über keinen Internetanschluss. Sie sind in der digitalen Teilhabe maßgeblich eingeschränkt und somit noch stärker als ohnehin schon von Job- und Wohnungsmarkt sowie Bildung und Freizeitaktivitäten ausgeschlossen. Daher sollten wir Fragen der digitalen Teilhabe als Fragen der Armutsbekämpfung diskutieren, insbesondere im Fall von extrem armutsbetroffenen Menschen wie jenen, die in Wohnungslosigkeit leben. Auch ist zu befürchten, dass der zunehmende Einsatz von Algorithmen wie bei der Schufa-Auskunft oder von Künstlicher Intelligenz etwa bei der Überwachung öffentlicher Räume bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen verstärkt.

Es ist höchste Zeit, die Diskussion über die digitale Teilhabe von Menschen in Wohnungsnotlagen sowie die Digitalisierung von Hilfeangeboten innerhalb der Wohnungsnotfallhilfe voranzutreiben. Mit der BAG W-Fachtagung Digitalisierung „503 Service unavailable – Digitales Angebot im Aufbau“ sind wir im Juni 2022 einen ersten Schritt gegangen. Nun widmen wir uns in der vorliegenden Ausgabe der wohnungslos mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und digitale Teilhabe erstmals ausschließlich diesem Thema und wollen Antworten auf die Fragen geben: Wie nutzen Menschen in Wohnungsnotfällen digitale Medien? Und wie sollte die Gestaltung der Digitalisierung in den Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe zukünftig aussehen?

Zu Beginn werden die Ergebnisse der bundesweiten BAG W-Online-Erhebung zur Digitalisierung in den Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe von Sarah Lotties und Annika Maretzki vorgestellt. Die zentrale Erkenntnis lautet: Trotz vielerorts pragmatischer Lösungsansätze stoßen Einrichtungen und Dienste beim Bereitstellen internetgestützter Hilfeangebote sowie von WLAN, PCs und Schulungen an finanzielle und personelle Grenzen. Auch dürfen, so der eindringliche Appell, analoge Angebote nicht durch digitale Angebote ersetzt werden, denn nur wenn sie sich ergänzen, erhalten Menschen in Wohnungsnotlagen passgenaue und bedarfsgerechte Hilfen. Das gilt insbesondere auch für öffentliche Verwaltungen, die weiterhin analog zugänglich sein müssen, um nicht systematisch Menschen von den ihnen zustehenden Hilfen auszuschließen.

Prof. Dr. Maren Hartmann und Vera Klocke vom MOWO-Forschungsprojekt zeigen, wie ‚normal‘ obdachlose Menschen mobile Medien in Berlin nutzen – insbesondere auch für ‚Freizeitzwecke‘. Diese Normalität sei zwar „hart erkauft“, aber für viele „lebensnotwendig“. Anschließend zeigt David Lowis, ebenfalls Mitarbeiter im MOWO-Projekt, welche praktische Hürde die SIM-Karten-Registrierungspflicht für die digitale Teilhabe von Menschen ohne Ausweispapiere bedeutet.

Wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Kontext digitaler Teilhabe wohnungsloser Menschen ist, erläutern die Kolleg:innen des Nürnberger Forschungsprojekts Smart Inklusion für Wohnungslose unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Sowa. Anhand einer partizipativen Analyse der Bedarfe wohnungsloser Menschen entwickelten die Projektbeteiligten (Sozialwissenschaftler:innen, Informatiker:innen und Ingenieur:innen) innovative Produkte wie eine WLAN- und Ladestation in der Nürnberger Innenstadt.

Digitale Teilhabe ist auch eine Frage der Kompetenzen. Sabrina Grunwald und Domingo Waller vom Berliner Projekt DIGITALES ZUHAUSE gewähren einen praxisnahen Einblick in das Konzept eines Trägers der Wohnungslosenhilfe zur Schulung digitaler Kompetenzen für wohnungslose Menschen.

Im letzten Schwerpunkt-Beitrag beleuchten Mona Hörtnagl, Juliane Laubichler und Annika Maretzki, wie Soziale Arbeit auf digitalen ‚Straßen‘ wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen sowie neuzugewanderte Unionsbürger:innen frühzeitig erreichen kann. Wir präsentieren den innovativen Beratungsansatz des EhAP Plus-Modellprojekts Social Media Streetwork – Mehrsprachige Erstinformation und Verweisberatung in sozialen Medien gegen Marginalisierung, das die BAG W gemeinsam mit dem Projektpartner Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung durchführt. Zum Abschluss des Themenschwerpunktes dokumentieren wir das Positionspapier der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e. V. zur digitalen Teilhabe.

Wir bedanken uns bei allen Autor:innen für ihre Beiträge zur Fachdiskussion rund um die digitale Teilhabe von Menschen in Wohnungsnotfällen und eine bedarfsgerechte Digitalisierung der Wohnungsnotfallhilfen. Abschließend möchten wir auf die Ausführungen von Dr. Manfred Hammel in der Rubrik Rechtsprechung hinweisen. Er bespricht die Gewährung von Leistungen gemäß den §§ 67 ff. SGB XII entsprechend § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII, die faktisch als absolute Nothilfen ausschließlich für Unionsbürger:innen gelten müssen. Wir dokumentieren darüber hinaus auch die Positionierung der BAG W Die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit hängt von gemeinsamen Visionen ab – Thesenpapier zur Rolle von Housing First in den Wohnungsnotfallhilfen, die von der Projektgruppe Housing First erarbeitet wurde.

Annika Maretzki, Fachreferentin BAG W

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